«DAS DAUERT DOCH VIEL ZU LANGE»

MIX hat eine Schulklasse in Pontresina zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Medien und Migration eingeladen. Herausgekommen ist dabei ein erfrischendes, ernsthaftes und zugleich differenziertes Gespräch. Ein Protokoll.

PODIUMSTEILNEHMENDE
Gianna Scandella, 15 Jahre, Engadinerin
Valeria Lopes, 15 Jahre, mit 3 Jahren aus Portugal gekommen
Luana Melo, 15 Jahre, im Engadin geboren, Eltern aus Portugal
Samuel Almeida, 14 Jahre, im Engadin geboren, Eltern aus Portugal
Tiziano Demonti, 15 Jahre, Engadiner
Wilson Seixas Pereira, 14 Jahre, mit 3 Jahren aus Portugal gekommen


Die 14 Mädchen und Jungen der Realschulklasse im Engadiner Dorf Pontresina bilden eine bunt gemischte Gruppe über drei Jahrgänge. Wie an der gesamten Schule, an der etwa 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler Migrationshintergrund haben, finden sich auch unter ihnen unterschiedliche Nationalitäten. Die meisten haben portugiesische Wurzeln und sind Kinder von Zugewanderten, die im Tourismusort eine neue Heimat gefunden haben. Das Klischeebild von engstirnigen Berglern oder verschlossenen Eigenbrötlern wird in den Klassenräumen hoch über dem Ort nicht erfüllt. Die sechs Freiwilligen, die sich vor der Klasse in einer Podiumsrunde über Fragen zur Mediennutzung und zum Thema Integration stellen, überzeugen mit ausgesuchten Worten und differenzierten Voten.
Buch oder Internet?

«Ich sitze sehr oft vor dem Computer und höre darauf Musik oder surfe im Internet», bringt Tiziano zu Beginn der Diskussion gleich die Gemeinsamkeit auf den Punkt. Ohne Internet geht bei den Jugendlichen nichts mehr. Ebenso bei der Nutzung des Handys. Wohingegen die Nutzungsdauer ganz unterschiedlich ausfällt: «Ich brauche das Handy zwar regelmässig, aber nicht sehr oft», grenzt sich Valeria von den meisten anderen ab. Überhaupt lasse es sich nicht genau quantifizieren, wie viel Zeit man täglich mit Medienkonsum verbringe. «Auf das Handy schaue ich doch immer mal wieder, das ist eine Gewohnheit, die man nicht mehr wahrnimmt», meint etwa Gianna. Hingegen ist man sich beim Thema Facebook sehr schnell wieder einig. Bis auf die beiden Klassenlehrer und eine Schülerin benutzen alle das Social-Media-Angebot. Deshalb auch höhnisches Gelächter im Raum bei der Frage, ob jemand das Netzwerk nicht nutze. iPad, Fernsehen, Games, Musik, Kino, Zeitungen, Magazine, YouTube: Die Stichworte fallen wild durcheinander.
Nur ein Medium kommt kaum zur Sprache – das Buch. «Das zu lesen, dauert doch viel zu lange», wirft der 12-jährige Ruben aus dem Klassenplenum ein. «Mich interessiert alles über Tiere, aber darüber schaue ich lieber eine Sendung im Fernsehen.»Action oder Arztserien?«†¹Berlin – Tag & Nacht†º ist meine Lieblingsserie», antwortet Gianna auf die Frage, was für Inhalte sie in den Medien besonders interessieren. «Es ist witzig zu sehen, wie da die einen Leute über die anderen denken.» Ihr sei jedoch nie aufgefallen, dass in der inszenierten Doku-Soap Charaktere mit Migrationshintergrund vorkämen, was zum Widerspruch von Samuel führt: «Doch, ich habe darin schon ein paar Mal Typen als Italiener oder so gesehen, aber es gehört halt einfach dazu, das fällt gar nicht mehr so auf.» Er selber liest lieber Informationen auf 20 Minuten Online oder schaut sich Actionfilme an. «Oder Skirennen, das ist auch spannend.» Seine Begeisterung für Action lässt Valeria den Kopf schütteln: «Ich finde Filme mit viel Gewalt und Waffen langweilig. Ich mag eher Liebesfilme – vor allem, wenn Jugendliche mitspielen.» Luana hingegen mag auch Erwachsenenthemen und schaut regelmässig «Grey’s Anatomy». Nachrichten hin-gegen sind nicht so ihr Ding. «Die schaue ich nur, wenn meine Eltern das machen und ich nicht umschalten darf.» Wo andere gerne durch das Filmangebot der Fernsehkanäle zappen, sucht Tiziano ganz spezifisch nach Inhalten: «Ich interessiere mich vor allem für Technik und schaue mir deshalb auf YouTube entsprechende Filme von Fachleuten an.
»Portugiesisch oder Deutsch?“ 
Dass bei dem hohen Anteil an portugiesischen Familienbanden auch Medien in dieser Sprache genutzt werden, scheint selbstverständlich. Allerdings zeigt sich in der Diskussion, dass es eher Sache der Eltern ist: «Bei uns zu Hause läuft nur portugiesisches Fernsehen, weil meine Eltern das so wollen», erklärt Valeria. Samuel versucht, eine Erklärung für dieses Phänomen zu finden: «Wenn man hier geboren ist oder schon früh in die Schweiz gekommen ist, lernt man halt schneller Deutsch und konsumiert dann auch mehr deutschsprachige Programme.» Überhaupt schauen, hören und lesen sie fast ausschliesslich deutschsprachige Angebote – und ab und zu auch rätoromanische. Wilson sieht hingegen noch einen anderen Grund dafür, warum sich Junge weniger für heimatsprachige Programme begeistern können: «Portu-giesisches Fernsehen ist langweilig. Da sitzen dauernd irgendwelche Leute in einem Raum und diskutieren den ganzen Tag.» Aber auch die Einheimischen unter den Diskutierenden schätzen fremdsprachige Medienangebote. «Ich schaue im Kino lieber Filme auf Originalsprache mit Untertiteln, weil da die Vertonung besser ist», meint etwa Tiziano.


Gutes oder schlechtes Image?
Auch auf die Darstellung von Migrantinnen und Migranten in den Medien haben die Jugendlichen eine eindeutige Meinung. «Ich kenne keine ausländischen Gesichter oder Namen am Schweizer Fernsehen oder in anderen Medien», meint Tiziano. «Lediglich auf ProSieben bei †¹Taff†º gibt es jemanden. Aber den Namen kenne ich nicht», ergänzt Samuel, um gleich einen möglichen Grund anzufügen: «Wenn man in den Medien arbeitet, sollte man die Sprache sehr gut kennen. Wenn da jemand spricht, der es nicht richtig kann, schauen ja alle weg.» Tiziano glaubt, dass die Untervertretung auch an der mangelnden Ausbildung liegen könnte. Seine Mei-nung zum Image von Migrantinnen und Migranten in den Medien kommt genauso pointiert: «Sehr oft wird negativ über Ausländer berichtet – zum Beispiel im Blick. Der ist eher eine rechte Assi-Zeitung. Es wird mit Klischees gespielt und der Gedanke vermittelt, dass die meisten Ausländer gewalttätig sind.» Aus seiner Sicht können solche Bilder schnell entstehen. «Manchmal sieht man abends am Bahnhof eben doch auch Jugendliche, die aggressiv wirken und die vielleicht Migrationshintergrund haben. Da kriege auch ich ein ungutes Gefühl. Hinter den Schlagzeilen sieht man dann halt eher diese Typen und nicht die älteren Migrantinnen und Migranten, die brav zu Hause sind.» Aber Wilson weist darauf hin, «dass das eher in grossen Städten und nicht hier auf dem Dorf passiert.» Diese Meinung teilt auch Valeria und findet, dass sie es in Pontresina trotz kleinen Ungereimtheiten mit Grüppchen, die sich auf dem Pausenplatz absonderten und nur Portugiesisch untereinander sprechen, sehr gut hätten. «In den Städten gibt es eben auch mehr zu tun. Die Jungen da sind öfter unterwegs und haben mehr soziale Kontakte», drückt Gianna die Sichtweise der meisten anderen aus. «Aber in der Mediennutzung gibt es heute sicher keine Unterschiede mehr zwischen Jugendlichen hier und in der Stadt. Mit dem Internet haben alle die- selben Voraussetzungen», schlägt Tiziano die Brücke und findet einen verbindenden Abschluss mit dem World Wide Web.

Philipp Grünenfelder